zu nichts zerfallen

"Ich hab ihn vor etwas über einem Jahr kennengelernt. Ich war erst neu hierhergezogen. Ich bin nicht schlau, oder geschickt. Ich brauchte das einfache Geld. Er hatte immer, ausnahmslos mit 2 20er Scheinen bezahlt; selbst nachdem ich nach einem halben Jahr unserer Treffen den Preis auf 35 runterschraubte. Wir trafen uns wöchentlich. Manchmal öfters. Soweit ich weiß, hatte er auch keine andere in dieser Zeit.

Er war stets sauber und gepflegt. Recht leicht, denn bis auf seine Augenbrauen hatte er keine Haare auf dem Kopf, und auch so fast keine am Körper. Er war zwar nicht Hollywood schön, aber weitaus angenehmer als so manch andere Kundschaft. Auch seine Wohnung war immer sauber und ordentlich. Er lebte in einer 1 Zimmer Wohnung. Er hatte nicht viel gebraucht, meinte er. Er kaufte sich auch nichts Teures. Er kaufte im Grunde genommen nichts, denn sein Kühlschrank war bis auf die Kleinigkeiten, die ich mitbrachte, meist bedürftig gefüllt. Er konnte auch nicht weit verreisen, weil er eine Krankheit hatte und er wöchentlich behandelt werden musste. Fragt mich nicht, wie sie heißt, es war auf jeden Fall sehr selten.

Ich werde es tun. Hatte er gesagt. Er klang stolz, nein, erleichtert. Er war nie stolz. Er war stets bescheiden. Er sagte, ich trug ein Lächeln, das jedes Herz zum Schmelzen bringen könnte. Er selber konnte es nicht. Nicht lächeln. Es sah aus, als würde er im nächsten Augenblick zerbrechen. Als hätte er nie gelernt zu lächeln. Nie richtig gelernt. Als wenn er imitieren wollte, wie glückliche Personen sich in Filmen ausdrücken. Ihre Lächeln waren ja auch gespielt.

Ich frage meine Klienten nicht nach ihrer Familie, außer natürlich sie bestehen darauf. Er verlor kein Wort über seine. Er hatte wohl keine, denn ich hab nirgends Fotos gesehen. Auch nicht von Freunden. Er tat mir leid. Ich wollte ihm helfen, aber zu meiner Familie zu Weihnachten konnte ich ihn nicht mitnehmen; sie wussten nicht, dass ich mich prostituiere. Und das muss ich jetzt auch nicht mehr. Er vererbte mir 5% seines Vermögens, was immerhin noch 3 tausend ist. Den Rest spendete er, darunter für eine Organisation, die Kindern über Astrophysik lehrt und ihnen Teleskope und so ein Zeug schenkt. Er hat mir auch eins geschenkt, zu Weihnachten. Ich war völlig erstaunt und überrascht. In der Nacht ist der Himmel für uns immer schwarz, bis wir darüber hinaus sehen.

 Ich wollte ihn sogar mal mit einer Freundin verkuppeln, aber es hat nicht gefunkt, sagte sie. Er sprach nur ungern darüber. Über was er gerne sprach, waren die Sterne. Er war gebildet und sehr schlau. Ich hatte zwar keinen Schimmer, über was er redete, aber er sprach mit solch Faszination davon, dass ich ein paar Videos darüber geguckt habe. Es war nicht meins. Daran erinnere ich mich aber: Wenn Sternen, die groß und massiv waren, die Energie ausgeht, fallen sie in sich zusammen und werden zu schwarzen Löchern. Sie saugen alles ein. Ins nichts. Ob sein Herz auch mal so war? Es war zu groß und brach ein, nachdem es keinen Sinn mehr fand, und zog alles ins Nichts, ihn eingeschlossen", führte sie ihre Rede im Kopf durch, denn es war niemand da, um es zu hören. Die Sonne schien auf das leere Grab. Nur ein Grabstein markierte den Toten. Er war zwanzig Jahre vor ihr geboren. Das andere Datum war von letzter Woche.